Der Weg zum Sondervermögen Wirtschaft

Durch die Einrichtung eines wirtschaftspolitischen Sondervermögens durch die demokratische Mitte Deutschlands könnten die heutigen Haushaltsschwierigkeiten beendet und die morgigen Haushaltsspielräume erweitert werden. Dieser Schritt käme nicht nur der Bundesregierung, sondern dem Land und seinen demokratischen Parteien zugute. Aber auch und gerade die Union hat viel zu gewinnen. 

Nachtrag vom 12.01.: Das ökonomische Argument für das Sondervermögen nimmt an Fahrt auf - so forderten seit Erscheinen dieses Beitrags z.B. die Top-Ökonomen Südekum, Hüther und Fuest in der FAZ eine entsprechende Initiative.

Politischer Kontext

Mit einem einstweiligen Haushaltskompromiss zum Jahresende hat die Ampelkoalition eine unmittelbare Regierungskrise in Deutschland abwenden können. Kurzfristiger Unmut und die Klärung von Detailfragen bestimmen den politischen Jahresanfang. Aber je mehr das unmittelbare politische Überleben der Ampel-Regierung gesichert scheint, desto mehr rücken die fundamentalen Herausforderungen, die das Urteil des Bundesverfassungsgerichts stellt, in den Fokus. Ohne die Haushaltsmittel des Wirtschaftsstabilisierungs- sowie Klima- und Transformationsfonds (WSF und KTF) fehlt der Bundesregierung viel haushaltspolitischer Spielraum, den sie angesichts ohnehin angespannter Haushaltsverhandlungen gut hätte gebrauchen können.  Seit dem Urteil bleibt keine Planungs- und Konsolidierungsmaßnahme ohne reichlich koalitionäre Kontroverse - ob es um Kürzungen von Agrarsubventionen oder das erneute Ausrufen einer Notlage, z.B. aufgrund der Flutkatastrophe im Ahrtal, geht. Aber auch jenseits der aktuellen Regierungsdynamik zeichnen sich Herausforderungen ab. Nachlassendes Wirtschaftswachstum, anhaltende Kosten von Unterstützung und perspektivischem Wiederaufbau der Ukraine, und immer höhere Zuschüsse aus dem Haushalt in die Rentenversicherung schaffen engere Haushaltsspielräume und damit Herausforderungen für kommende Bundesregierungen. Durch die ‘Schärfung’ der Schuldenbremse scheinen enge Finanzrahmen und haushaltspolitische Streits vorprogrammiert. 

Die mit anhaltenden Haushaltskrisen einhergehenden Konsequenzen sind ernst. Bei vielen Beobachtern im Inland wie im Ausland könnte angesichts wiederholter politischer Konflikte und Blockaden der Eindruck entstehen, dass Deutschland und die Bundesregierung in Krisenzeiten nicht vollständig handlungsfähig sind. Dafür könnte es kaum einen schlechteren Zeitpunkt geben. Vor dem Hintergrund hoher wirtschaftlicher Unsicherheit scheinen die politischen Ränder schon seit einiger Zeit im Aufwind. Die AfD erreicht ein besorgniserregend stabiles Allzeitumfragehoch und Sahra Wagenknecht ist im Versuch begriffen, eine weitere koalitionsunfähige Partei zumindest in einigen ostdeutschen Bundesländern zu etablieren. Gleichzeitig liegt das Vertrauen der Bevölkerung in Bundesregierung und Bundeskanzler auf einem historischen Tiefpunkt. Anstelle dauerhafter Streitigkeiten muss Deutschland diesen besorgniserregenden Entwicklungen haushaltspolitisch handlungsfähig begegnen. Solange die Ampel festgelegt zu sein scheint, auf keine ihrer konsumtiven Herzensaufgaben zu verzichten, führt der Weg dazu nicht nur über Einsparungen. Die Grundlage dafür kann nur ein grundlegender fiskalpolitischer Kompromiss in der demokratischen Mitte bilden - solange diese überhaupt noch über eine stabile Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag verfügt. 

Der meistdiskutierte Ausweg ist eine Reform der Schuldenbremse. Aber entschiedene parteipolitische Festlegungen und deren vehemente Begründungen machen einen Kompromiss um die Gestaltung der Schuldenbremse selbst wohl eher unwahrscheinlich - so unterstützen FDP und Union nicht nur weiterhin entschieden die Schuldenbremse, sondern sehen in ihrer Stärkung sogar eine wünschenswerte Entwicklung. Der fundamentale Dissens zwischen linkem und bürgerlichem Lager hinsichtlich des grundsätzlichen Wertes der Schuldenbremse scheint wenig Spielraum für Reform zu bieten. Vielleicht kann sich dieser Spielraum noch öffnen: nach der Europawahl, nach der Wahl in Sachsen und Thüringen, falls die Wüst’schen Bedingungen erfüllt werden, etc. Aber im Moment sieht es so aus, als bräuchte es einen anderen Weg. Diesen Weg - und die Gründe, warum er auch im Interesse der Union sein könnte - wollen wir skizzieren. 

Ausweg Sondervermögen

Ein genauerer Blick auf den Auslöser der aktuellen Krise offenbart einen möglichen Ausweg. Das bestehende Haushaltsloch entstand durch die urteilsgemäße Unrechtmäßigkeit der Übertragung von schuldenfinanzierten Mitteln in den WSF, die konsistenterweise analog auch auf den KTF Anwendung findet. Beide diese Töpfe enthalten ein breites Spektrum von teilweise kontroversen Anwendungen - von Halbleiter-Fabriken bis hin zu Sozialverträglichkeitslösungen der CO2-Bepreisung -, sind aber letzten Endes auf den Komplex der zukunftstauglichen Transformation der deutschen Volkswirtschaft ausgerichtet. Diese Transformation erfolgt mit Blick auf Zukunftstechnologien, mit Blick auf die Notwendigkeiten der Vermeidung von Emissionen, und mit Blick auf notwendige strukturelle Voraussetzungen für wirtschaftliche Aktivität.

Würde die Finanzierung der wie auch immer spezifisch gearteten notwendigen wirtschaftspolitischen Transformation sichergestellt, würden sowohl die akute Haushaltskrise als auch die latenten Finanzierungsschwierigkeiten unter der Schuldenbremse entschärft. Wir schlagen vor, dass diese Finanzierung durch die Einrichtung eines Sondervermögen für die Zukunftssicherheit der deutschen Volkswirtschaft geschaffen werden soll. Ein solches Sondervermögen, fokussiert auf die nötigen Erneuerungen, könnte durch Kredite finanziert werden, ohne in Konflikt mit dem Urteil des Verfassungsgerichts zu geraten oder eine allgemeine Aufweichung der Schuldenbremse zu erfordern. Aus ökonomischer Perspektive wurden ähnliche Denkanstoße bereits vereinzelt gegeben, zuletzt von ifo-Präsident Fuest bei der CSU-Klausur in Seeon. Wir wollen den politischen Weg dahin beleuchten. 

Die Einrichtung eines Sondervermögens erfordert eine Zwei-Drittel-Mehrheit im deutschen Bundestag und damit die Zustimmung der CDU/CSU-Fraktion: Für den Haushalt 2023 gilt zwar noch eine Notlage, aber für Kreditermächtigungen jenseits der Schuldenbremse über 2023 hinaus ist die Verankerung im Grundgesetz erforderlich. Deshalb könnte und würde das Sondervermögen realistisch kein erweiterter Haushaltsposten der Bundesregierung sein, sondern müsste der Union entschieden entgegenkommen. Was das ganz konkret hieße, müsste das Ergebnis einer politischen Verhandlung zwischen Union und Bundesregierung sein - aber wir halten folgende Merkmale eines Sondervermögens für grob realistisch und damit für eine geeignete Grundlage für diese Diskussion:

  • Ein Volumen von ca. 150 Mrd. € über einen Zeitraum von ca. 15 Jahren.

  • Jährliche Staffelung der Kreditermächtigung, um vorzeitige Erschöpfung des Sondervermögens zu vermeiden.

  • Ausschließlicher Fokus auf investive Ausgaben. 

  • Nach Möglichkeit Aufnahme von restriktiven, gesetzlich bindenden Leitplanken, z.B. gegen Verwendung für konsumtive Ausgaben und gegen Verwendung für bestehende Posten des laufenden Bundeshaushalts. 

  • Aufnahme von bindenden inhaltlichen Beschränkungen bzgl. besonders kontroverser inhaltlicher Schwerpunkte, z.B. gegen ‘Energiepreisbremsen’, Klimageld, Kernkraft. 

Selbst unter diesen Maßgaben wäre die Einrichtung des Sondervermögens eine große politische Erleichterung für die Parteien der Bundesregierung. Aus Unionsperspektive stellt sich die Frage, warum man der Ampel in ihrer misslichen Lage politisch helfen sollte. Und von beiden Seiten stellt sich die Frage, wie realistisch eine konstruktive Einigung zwischen Regierung und Union wohl ist - besonders nach vielerlei gebrochenen Zusagen zum Sondervermögen Bundeswehr. Die aufgeladene Stimmung zwischen Opposition und Regierung stellt die Realisierbarkeit des Vorschlags ernsthaft in Frage. Wir glauben, dass das Sondervermögen dennoch sowohl im Interesse der Bundesrepublik als auch letztendlich im spezifischen politischen Interesse der Union ist. Das Argument dafür hat eine wirtschaftspolitische, eine haushaltspolitische und eine vertrauenspolitische Dimension. 

Stabilität in der Wirtschafts- und Klimapolitik 

Durch das Sondervermögen kann ein sicherer Rahmen für die Finanzierung der deutschen Wirtschafts- und Klimapolitik der nächsten Jahre geschaffen werden. Das ist dringend nötig: Von ganz links bis ganz rechts herrscht Einigkeit, dass der Bundesrepublik ein kostenintensiver Sanierungs- und Transformationsprozess bevorsteht. Durch das Sondervermögen kann dieser Prozess stabil und konstruktiv begleitet werden - durch Effekte auf drei Ebenen:

In Zeiten immer engerer Haushaltsspielräume ist die Sicherstellung der Finanzierung längerfristiger wirtschaftspolitischer Maßnahmen ein Wert für sich. Aus der Opposition geht der Union noch leicht der Gedanke über die Lippen, dass Wirtschaftspolitik als solche nicht teuer ist, sondern nur nach Bauart der Ampel. Aber auch die von der Union bevorzugten Maßnahmen kosten Geld:  Infrastrukturinvestitionen, (Anlocken von) Wagniskapital, Auslobung von Pioniermärkten, Stärkung der Energiesicherheit, uvm., müssten bezahlt werden, sollte die Union wieder wirtschaftspolitische Entscheidungen in Deutschland treffen - ob 2025 oder später. Für die Einrichtung einer Finanzierungsquelle, die nicht in Konflikt mit der Schuldenbremse oder steuerpolitischen Zusagen gerät, wäre der nächste Bundeswirtschaftsminister der Union daher sicher nicht undankbar.

Wirtschaftspolitische Verlässlichkeit und Investitionssicherheit sind für die Standortqualität unerlässlich. In einem instabilen politischen Klima und unter vermutlich wechselhaften und komplexeren Koalitionen, und mit einer erschwerend hinzu kommenden Zentralisierung von Entscheidungen in den auswechselbaren politischen Leitungsebenen ist diese Kontinuität und Zuverlässigkeit aber in Gefahr. Man stelle sich vor, es hätte zum Beispiel die kontroverse Förderzusage an Chiphersteller unter den plötzlichen Konsolidierungsbemühungen gelitten - ihr Wegfall nach großer Ankündigung und getroffenen Entscheidungen hätte eine katastrophale Signalwirkung auf ausländische Investoren gehabt. Eine Verstetigung einiger Grundlinien der Wirtschaftspolitik, die nicht aus parteipolitischem ad-hoc-Kalkül aufgegeben oder in nächtlichen Haushaltsverhandlungen ausgetauscht werden können, sondern einem stabilen Kompromiss entspringen, täten dem Standort gerade mit Blick auf den aktuellen Investitionsrückgang gut. In einer Zeit, in der politische Stabilität ein immer selteneres und damit höheres Gut für Unternehmen und Investoren ist, kann und muss Deutschland eine sichere Bank bleiben.

Unter Voraussetzung dieses Verstetigungseffekts liegt in der Einrichtung des Sondervermögens eine Gelegenheit für die Union, wichtige Weichenstellungen zu gestalten. Selbst wenn die Union 2025 wieder an die Regierung kommen sollte, bleiben der aktuellen Bundesregierung noch zwei Jahre, weitreichende Entscheidungen zu treffen. Macht die Ampel in dem Zusammenhang Förderzusagen, schafft Investitionsprogramme und stellt Zuschüsse in Aussicht, könnte die nächste Bundesregierung in die Verpflichtung geraten, diese Versprechen auf Kosten des eigenen Handlungsspielraums einzulösen, um Kontinuität zu wahren. Schafft die Union es jetzt, durch die Verhandlungen zur Ausgestaltung des Sondervermögens Leitplanken für die Wirtschaftspolitik der Ampel aufzustellen, könnte sie damit auch neue Altlasten für eine hypothetische Regierung ab 2025 reduzieren. Die Union erhielte durch das Sondervermögen tatsächlichen Einfluss auf die aktuelle Wirtschaftspolitik und würde Weichenstellungen zu ihren Ungunsten vorbeugen. 

Handlungsfähigkeit in der Haushaltspolitik

Das Sondervermögen schafft allseits dringend benötigte haushaltspolitische Spielräume für diese und kommende Bundesregierungen, bewahrt aber gleichzeitig die Schuldenbremse in ihrer aktuellen Form. 

Damit sind Schuldenbremse und Sondervermögen eine bessere goldene Regel, als es die goldene Regel je war. Die ‘goldene Regel’, also grob die haushaltspolitische Vorschrift, dass Schulden nur für Investitionen gemacht werden dürfen, fiel letzten Endes semantischer Trickserei zu Opfer - entstand aber aus folgender plausibler Motivation: Die starken elektoralen Anreize für kurzfristig wirksame konsumtive Ausgaben dominieren gegenüber langfristig wirksamen Investitionen in wirtschaftliche Transformation. Das findet sich in den ‘Rentengeschenken’ der letzten Bundesregierung genauso wie in der aktuell mangelnden Kürzungsbereitschaft der SPD bei den Sozialausgaben, die dem eigenen Markenkern und Elektorat zugutekommen. Diese Anreizstruktur erklärt die strukturelle Unterfinanzierung von Ausgaben in die wirtschaftliche Zukunft. Es erklärt auch, warum die Ampel ohne ein Sondervermögen das Geld für die Transformation vermutlich nicht finden können wird, sondern eher eine unterfinanzierte Wirtschaftspolitik in Kauf nehmen könnte. Anders als der Status Quo und als jede allgemeinere Erweiterung der Haushaltsspielräume entkommt das Sondervermögen diesem strukturellen Hindernis für sinnvolle Investitionen.

Weil das Sondervermögen nicht für alles ausgegeben werden kann, ist eine spontane Umwidmung nicht möglich. Weiterhin kann durch klare Spezifizierung der Ausgabemöglichkeiten auch eine Umdeklarierung aktueller Investitionen aus dem Bundeshaushalt und damit die indirekte Finanzierung von weiteren konsumtiven Ausgaben verhindert werden. Letzteres erfordert sowohl legislative Absicherung als auch verlässliche Absprachen zwischen den beteiligten Parteien. Aufgrund der prekären Haushaltssituation der Ampel sollte die Union in der Lage sein, im Gegenzug für den unmittelbaren fiskalischen Spielraum für die Ampel durchzusetzen, dass politisch aus ihrer Sicht nicht tragbare KTF-Projekte nach wie vor aus dem Bundeshaushalt finanziert werden müssen. Aber damit die Union diesen Schritt gehen kann, braucht es Ehrlichkeit seitens der Bundesregierung - mehr als zum Beispiel noch beim Sondervermögen Bundeswehr, das ursprünglich auch separat vom laufenden Verteidigungshaushalt gehandelt werden sollte.

Keine erweiterten Spielräume wären für die Union auch keine Lösung. Jenseits eines Sondervermögens bliebe sie zwischen zwei unliebsamen Möglichkeiten gefangen: Erstens einem unveränderten Beibehalten einer geschärften Schuldenbremse und der vielleicht zu engen Haushaltsspielräume, die mit ihr einhergehen. Wie bereits vielerseits antizipiert erschwert diese Version der Schuldenbremse die Arbeit jeder künftigen Bundesregierung deutlich. Jenseits des Wegfalls der Sondertöpfe, die noch auf Jahre zusätzliche Ausgaben ermöglicht hätten, ist auch die allgemeine Stärkung von Jährlichkeit und Jährigkeit ein Schlag gegen die bisher gelebte Haushaltspraxis, der Flexibilität und Zuverlässigkeit der Planung schwächt. Rückläufiges Wirtschaftswachstum und projiziert steigende, fast unvermeidbare Ausgaben, zum Beispiel in Form von Zuschüssen zur Rentenversicherung, verschärfen die dadurch geschaffenen Probleme. Zudem scheint klar: So sehr es sich die Union auch wünscht und so sehr es der Ampel auch politisch schaden mag - die Ampelparteien rücken partout nicht von ihren konsumtiven politischen Zusagen ab. Im Ergebnis bleibt also eine höchst undankbare Haushaltslage für jede Bundesregierung der nächsten Jahre. Neben dem Sondervermögen liegt der einzige weitere plausible Ausweg in einer generellen Aufweichung der Schuldenbremse. Das ginge auf noch deutlich größere Kosten der eigenen haushaltspolitischen Glaubwürdigkeit und würde ein ungleich höheres Risiko für die Finanzierung von politisch kontroversen Ausgaben der Ampelkoalition und  allgemein von vermehrten zukünftigen konsumtiven Wahlgeschenke beinhalten. Nur das Sondervermögen behält die Schuldenbremse und schafft gleichzeitig wichtige Spielräume.

Vertrauen in Staat und demokratische Mitte

Andauernde Streitigkeiten um die Finanzplanung drohen zu einem Vertrauensverlust zu eskalieren - in die Parteien der Bundesregierung, in die demokratische Mitte und in die Handlungsfähigkeit des Staates. Gerade in Zeiten paralleler globaler Krisen und Herausforderungen stellt Vertrauen ein wertvolles, aber flüchtiges Gut für funktionierende demokratische Gesellschaften und die Leistungsfähigkeit ihrer Volkswirtschaften dar. 

Ängste der Bevölkerung um die wirtschaftliche Zukunft des Landes sind sich schon seit Beginn des Krieges in der Ukraine im Aufwärtstrend - und gehen einher mit Rekordumfragewerten der AfD. Durch endlose Haushaltsdiskussionen entsteht, angefacht von populistischen Kräften, schnell der  Eindruck, dass der Staat entweder an der Zukunft seiner Bürgerinnen und Bürger spart oder wichtige Leistungen nicht mehr garantieren kann. Diese Angst vor Sparmaßnahmen ist ein klassischer Treiber von politischer Instabilität und Populismus im europäischen Ausland. Alle demokratischen Parteien täten gut daran, ihre destabilisierende Wirkung ernst zu nehmen. 

Ein Kompromiss der demokratischen Mitte um die Aufstellung eines Sondervermögens demonstriert fiskalpolitische Handlungsfähigkeit und sichert die Investitionen in die wirtschaftliche Zukunft des Landes. Das ist ein wirkungsvolles Signal für Handlungsfähigkeit und Handlungsbereitschaft: Die demokratischen Parteien zeigen, dass sie in der Lage sind, in Krisenzeiten zusammenzuarbeiten und einen verlässlichen Haushalt zu erstellen, der zentralen wirtschaftlichen Notwendigkeiten gerecht wird. Das schwächt die populistisch motivierten Feindbilder einer heillos zerstrittenen, selbstreferentiellen Ampel und einer zynisch destruktiven Union gleichermaßen. Den politischen Rändern wäre im Vorfeld wichtiger Wahlen viel Aufwind genommen. 

Auch in der Wahrnehmung aus dem Ausland steht viel auf dem Spiel. Ausländische Investoren und Verbündete gleichermaßen müssen mit Zusagen sicher planen können. Ein stabiles Deutschland ist ein zuverlässiger wirtschaftlicher und geopolitischer Partner. Das erleichtert langfristig wirtschaftliche Handelsbeziehungen, sichert außenpolitische Interessen und hilft, eine wichtige Figur in der internationalen Klimapolitik zu bleiben. Partner in einer Klima-Allianz der Willigen und ausländische Investoren gleichermaßen können nur mit einem Deutschland arbeiten, das sich selbst und seinen Zusagen nicht im Weg steht.

Letztlich ist eine stabile politische Landschaft auch im ureigenen parteipolitischen Interesse der Union. Die Verlockung ist groß, die Bundesregierung ihre selbstgemachte Regierungskrise ausbaden zu lassen, um den Wahlsieg 2025 zu sichern. Aber mit jedem gewonnenen Prozentpunkt geht die Gefahr weiterer Zugewinne der politischen Ränder einher - die Unzufriedenheit mit der Bundesregierung zahlt häufig gleichermaßen auf die Konten der Union und der AfD ein. Gerade als historisch stärkste politische Kraft im Parteiensystem, häufigste Kanzlerpartei und definitiver Favorit für die nächste Bundestagswahl sollte die Union nicht das Risiko einer Destabilisierung der politischen Landschaft eingehen. Unaufgeregte politische Stabilität ist Teil des eigenen Markenkerns, der nicht unter allen Zusammensetzungen des Bundestags ab 2025 gewährleistet werden kann. Und als Wahlsiegerin 2025 würde die Union von einer starken restlichen demokratischen Mitte in vielerlei Hinsicht profitieren: In Form von vielfältigen Koalitionsoptionen, in Form von einer konstruktiven Parlamentsaufstellung bis in die Ausschüsse hinein, und in Form vom Fortbestand einer demokratischen zwei-Drittel-Mehrheit im deutschen Bundestag. Auf sich allein gestellt bringt die Ampel diese demokratische Mitte in Gefahr: Das mag der Union kurzfristig elektoral nutzen, ist aber langfristig ein Pyrrhussieg. Für eine erfolgreiche nächste unionsgeführte Bundesregierung muss die Wahl 2025 gewonnen werden - aber sie muss eben auch ein regierbares Land hinterlassen.  Ein Sondervermögen könnte den Weg dahin ebnen. 

Die Einigung auf ein Sondervermögen für die Zukunftssicherheit der deutschen Volkswirtschaft wendet dreierlei Bedrohung ab: Haushaltspolitische Paralyse, wirtschaftspolitische Erratizität, und wahrgenommene Handlungsunfähigkeit der politischen Mitte. Aber sie erfordert die Überwindung eines breiten und tiefen Grabens zwischen den Parteien der Bundesregierung und der Union. Und sie erfordert einmal mehr, dass die Union in ihrem langfristigen Eigeninteresse kurzfristig zugunsten der Ampel handelt.  Der Versuch einer Überwindung könnte sich dennoch lohnen - für Deutschland und alle seine demokratischen Parteien.

Dieser Text entstand in Zusammenarbeit mit Dominik Hermle.




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The Economic Case for Foundation Model Regulation